Die Türöffner

Erinnerungen an den Grafschafter Hausbesuch

Wenn der Pastor ins Haus kam, wurde es in der Familie still. War alles in Ordnung? Wenn nicht, versuchte der Gast zu helfen. Denn erst nachdem alle Zerwürfnisse und Hindernisse ausgeräumt waren, stand die Tür zum Abendmahl offen. Das war die ursprüngliche Funktion des Hausbesuchs, der schon in der Bentheimer Kirchenordnung von 1709 erwähnt wurde. Ließen sich die Schäfchen nicht von ihrem liederlichen Lebenswandel abbringen, riet der Pastor auch schon mal von einer Teilnahme am Abendmahl ab.

„Diese Funktion hatte der Hausbesuch zu unseren Zeiten natürlich nicht mehr“, berichtet Dieter Rötterink und schmunzelt. Der 69-Jährige war bis 2004 Pastor der reformierten Kirchengemeinde Schüttorf. Mit seinem Kollegen Peter Kuhn führte er dort Mitte der 1970er Jahre den Hausbesuch wieder ein – mit anderem Ziel: Die Pastoren wollten das Gespräch mit den Menschen in ihrer Kirchengemeinde suchen. Damit rannten sie buchstäblich offene Türen ein.

Peter Kuhn, der 1976 aus Frankfurt in die Obergrafschaft wechselte und dort bis zum Ruhestand Mitte der 1990er Jahre seinen Dienst versah, erinnert sich gerade mal an zwei Familien, die seine Visite abgelehnt hätten. Dieter Rötterink überlegt und zuckt mit den Schultern: „Ich wüsste nicht, dass mir das auch mal passiert wäre.“ Es sei aber durchaus schon vorgekommen, dass sich die Tür öffnete – und der Herr oder die Dame des Hauses zunächst keine Ahnung hatte, wer da um Einlass bat. „Aber das klärte sich meistens schnell auf. Die Leute haben dann einen roten Kopf bekommen und sich entschuldigt, obwohl das ja gar nicht nötig war“, erinnert sich Dieter Rötterink an seine ersten Jahre in Schüttorf. Er wurde dort 1970 zum Pastor gewählt.

Es gibt zwei Gründe, warum die beiden Geistlichen die Menschen in ihren eigenen vier Wänden besuchten. „Viele waren der Kirchengemeinde fern und sind nicht in den Gottesdienst gekommen. Andere erwarteten, dass wir sie besuchen“, sagt Peter Kuhn. Einmal in der Woche machten sich die Pastoren in ihrem Bezirk auf den Weg und planten dafür meistens einen halben Tag ein. Am Sonntag zuvor hatten sie von der Kanzel abgekündigt, wer ihren Hausbesuch erwarten konnte. „In guten Nachbarschaften sprach sich das natürlich schnell herum“, berichtet Dieter Rötterink.

Worüber wurde gesprochen? „Das war sehr unterschiedlich“, erzählt Peter Kuhn. Mal wurde eine halbe Stunde geplaudert, mal ging es aber auch über zwei Stunden ans Eingemachte – je nachdem, worauf sich der Gesprächspartner einließ. „Für uns war es wichtig, die Mentalität der Menschen zu verstehen und zu wissen, was sie beschäftigt. Gleichzeitig wollten wir ihnen das Gefühl geben: Die Kirche kommt zu mir, weil ich ihr wichtig bin“, sagt Dieter Rötterink. Am Ende stand fast immer ein Gebet. „Es sei denn, ich hatte das Gefühl, dass es nicht passt“, ergänzt Peter Kuhn.

Die beiden Pastoren im Ruhestand bedauern, dass es den Hausbesuch heute nicht mehr gibt. „Ich kann ihn eigentlich nur empfehlen“, meint Peter Kuhn. Dieter Rötterink regt an, über neue Formen des Kontakts nachzudenken – auch wenn es in einer immer schneller werdenden Zeit sicherlich viel Kraft und Mühe koste, die Menschen zu erreichen.

von Andre Berends

Foto: Dieter Rötterink (links) und Peter Kuhn haben als Pastoren bei Hausbesuchen das persönliche Gespräch mit den Menschen in ihrer Kirchengemeinde gesucht (Foto Andre Berends)